It’s a cat’s world
Merhaba, Istanbul. Ich wollte dir einen Brief schreiben, aber ich weiß nicht, wo ich ihn hinschicken soll. Du bist ja schon hier. Und ich bin jetzt auch hier, rein örtlich dürfte es also keine Distanz zwischen uns geben, auch wenn ich im fünften Stock wohne und du in allen Stockwerken, in allen Häusern, und gleichzeitig auf der Straße, auf den Treppen, in den Bäumen, zwischen den Meeren wohnst. Ob wir eine Überlagerung sind, weiß ich nicht, du überlagerst mich auf jeden Fall, aber ich dich? Darüber muss ich noch nachdenken. Habe ja jetzt drei Monate Zeit dazu.
Heute regnet und stürmt es den ganzen Tag, ich war nur einmal kurz draußen, um Brot zu kaufen. Bei Google maps gab ich ekmek ein und fırıncı und landete bei einer kleinen Backstube, die innen wie außen die Farbe des Brotes angenommen hat, das es verkauft. Ich durfte mein noch kleinlautes Türkisch ausprobieren, bir ekmek lüften, sagte ich, der Fırınci lächelte gnädig und nickte, und euphorisiert bestellte ich noch Zimtkringel, bir, fragte er, und iki sagte ich, und es kostete on bir, und auch das habe ich verstanden.
Das Brot war noch ganz warm und blieb es auch in der dünnen Plastiktüte, blieb es trotz des Regens und der Fußballhorden, die in der Nevizade sokak ein kaltes bengalisches Feuer zündeten. Ich kam an einem Hotel vorbei, in dem ich vor zwölf Jahren einmal gewohnt habe, das Histar Hotel, es heißt noch immer so. Und immer noch war mein Brot warm, halte durch, sagte ich und lief an nassen Katzen vorbei, die sich schüttelten, aber nie hektisch, das kann nur eine Katze, sich nicht hektisch schütteln. Meine heimliche Vermutung ist, dass die vielen Katzen in Wahrheit verwunschene Frauen sind, denn von all den Menschen, die die Straßen hinunter- und hinauflaufen, die in unzähligen Cafés sitzen, an Ecken stehen und rauchen und sich unterhalten, die Tee schlürfen und in ihr Handy starren, sind die wenigsten Frauen. Die allerwenigsten. Eine Männerstadt. Sie sind nicht unfreundlich, diese Männer, aber eben in der Überzahl, wie die Fußballfans einer immerwährenden Heimmannschaft.
Was ich mag, ist der melancholische Ruf des Muezzins oder besser der Muezzine, ihre Rufe ziehen an meiner Wohnung im fünften Stock vorbei und schieben sich ineinander wie zwei Kontinentalplatten und sie rufen mit so einer Sehnsucht Gott an, dass ich, obwohl doch eher ungläubig, ehrlich ergriffen bin und mitsingen möchte, ja es ist eher ein Singen als ein Rufen. Das Wort hüzün fällt mir wieder ein, ich habe es bei Orhan Pamuk gelesen, und in meinem Türkischbuch steht, dass üzüm Traube heißt, und das reimt sich nun, da es abends wird und zu schneien beginnt, knapp aneinander vorbei.
5.2.2023
Mit freundlicher Unterstützung der