siehe auch im Literaturportal Bayern.
4.10.
Bei meinen wilden Recherchen über Ort, Raum und Identität bin ich auf den kanadischen Geographen Edward Relph gestoßen. Er hat bereits in den 1970 er Jahren das Buch Place and Placelessness über die Frage geschrieben, was Orte (places) und Räume (spaces) sind. In diesem Zusammenhang war er auch der erste, der über das Phänomen der Ortlosigkeit (placelessness) geschrieben hat, noch vor Marc Augé oder Michel Foucault.
Das Buch ist nicht auf deutsch übersetzt und ich tue mich ein bisschen schwer mit der korrekten Übersetzung von place, weil place sämtliche Facetten von Platz, Ort oder öffentlichem Raum beinhaltet. Doch allein das Ringen um die richtige Übersetzung hat schon sehr viel mit dem Thema des Buches zu tun. Wer sich für das Buch interessiert, man kann es hier durchblättern. Außerdem hat Eward Relph eine eigene Website https://www.placeness.com/, auf der man ganz wunderbar herumspazieren kann.
Immer mehr Nicht-Orte im öffentlichen Raum
Wichtigste Prämisse von Edward Relph ist, dass jeder Ort, an dem wir uns über einen längeren Zeitraum befinden, prägenden Einfluss auf uns und unser Verhalten hat. Wir pflegen zu Plätzen Beziehungen, wie wir auch zu Menschen Beziehungen pflegen, nur gibt es über letztere bibliothekenweise Bücher, über erstere wird kaum geschrieben geschweige denn gesprochen. Er betrachtet deshalb mit großer Sorge, wie immer mehr Nicht-Orte den öffentlichen Raum einnehmen. Nicht-Orte sind zum Beispiel Einkaufszentren, Flughäfen, Autobahnen, Supermärkte, aber auch Flüchtingslager oder Wartehallen im Bezirksamt – Orte also, die sich dadurch auszeichnen, dass ihre Ästhetik von funktionalen und Effektivitätskriterien bestimmt ist, die überall gleich aussehen, die immun gegen Einflüsse von außen sind und sich ergo nicht verändern – kurz und gut: Orte, mit denen sich die Menschen, die sich an ihnen aufhalten, nicht identifizieren können.
Auf meinem Flug von Frankfurt nach Montreal zum Beispiel gab es allerdings einen kurzen Moment, an dem ich mich plötzlich verbunden gefühlt habe mit dem Flugzeug, diesem eigentlich Nicht-Ort. Die Frau, die schräg vor mir saß, hatte ihre 0,5-Wasserflasche, die jede:r Passagier:in freundlicherweise erhalten hat, von der aber auch ich nicht genau wusste, wo ich sie hintun soll außer in das Minigepäcknetz, in der aber schon mein Handy, mein Buch, meine Gummibärchen, mein Keks von der Deutschen Bahn, meine Stifte, meine Ohrstöpsel und meine Schlafbrille lagen, jedenfalls hat die Frau vor mir ihre Flasche mit der zugedrehten Öffnung nach unten in den Kaffeebecherhalter gesteckt. Mit der Öffnung nach oben hatte ich auch schon ausprobiert, aber das funktionierte nicht, die Flasche passte nicht hinein. Auf die Idee, die Flasche einfach umzudrehen, war ich nicht gekommen, ahmte die Idee der Frau aber intuitiv nach. Dann aß ich einen Keks, las ein bisschen in meinem Buch, steckte mir die Ohrstöpsel in die Ohren und setzte mir die Schlafbrille auf. Als ich aufwachte, hatten alle Leute, die in meiner Reihe saßen (das waren sieben) ihre Flasche verkehrt rum in die Kaffeebecherhalterung gesteckt. Es saß ein bisschen aus wie im Krankenhaus, auch ein Ort des Dazwischen, aber kein klassischer Nicht-Ort.
Metamorphose eines Kaffeebecherhalters
Es war ein Moment, in dem sozusagen der Ort mit den Menschen interagiert hat (ich biete dir eine Halterung für einen Kaffeebecher) und die Menschen auf diese Interaktion reagiert haben (Ich habe aber eine Wasserflasche), und ihn in Folge dessen verändert haben. Wir haben die Funktion des Kaffeebecherhalters ohne vorherige Verabredung oder Signal von außen umgewandelt. Aber nicht nur das, wir haben dem Kaffeebecherhalter auch eine neue Bedeutung gegeben, denn statt einem vorgegebenen Handlungmuster zu folgen, haben wir durch seine Umkehrung eine eigene Handlungsidee geschaffen, die neu und überraschend war und uns genau dadurch miteinander verbunden hat.
In Quebec scheinen solche Mikro-Interaktionen ständig an den ephemeren Orten stattzufinden, beispielsweise an Treppen, wodurch diese Orte plötzlich sicher und zugänglich werden. Inwiefern, das könnt ihr nächste Woche lesen.
Place, space and placelessness
During my wild researches about place, space and identity I ran into the Canadian geographer Edward Relph. Already in the 1980s, he wrote the book Place and Placelessness, which deals with the topics of space and place and in this context he also was the first one to write about the phenomenon of placelessness. We maintain relationships to places as we do to people, but libraries are full of the latter and no one writes, let alone talks, about the former. Relph looks with growing concern at how non-places have taken over public space. Non-places are, for example, shopping malls, airports, highways, supermarkets, but also refugee camps and waiting halls in government offices – they are places whose aesthetics are defined by criteria of functionality and effectiveness. They look the same everywhere, they are immune to external influences and they do not change, in short: people who spend time there cannot identify with them.
On my flight from Frankfurt to Montreal, however there was a short moment where I felt linked to the plane, which acutally is a non-place. The woman who sat diagonally in front of me, used the holder for the coffeecup differently than it was intended, she put her bottle of water upsidedown in its ring, it looked like a waterinfusion at a hospital bedside. I liked this idea because I didn’t know where to put my waterbottle either. I copied her and then I slept for a while. When I woke up, everybody in my row had put their watterbottle upsidedown in the coffeeholder. Through this micro-interaction with other people, we had changed the space a tiny bit – and also the meaning of the space. Because now it was not only the space where we spent our time, but also the space where we had changed something, together.
On my walks through Quebec-City I got convinced that there must be a lot of micro-interactions to retransform non-places into places.