WHEREAMiNOW? – Istanbul’da (3)

Cep telefonu – die Erfindung des Handys in der Türkei

Günaydin, Istanbul. Der Laden in der Anabala Pasaji ist geschlossen, und jedes Mal, wenn ich vorbeigehe, schaue ich sehnsüchtig hinein, und das geht seit Tagen schon. Heute endlich sehe ich Licht, und in einem der Fenster sitzt eine Frau mit einem sympathischen Gesicht und ich winke ihr und sie kommt zur Tür, çanta telefonu(1), sage ich, ich habe mir das natürlich vorher überlegt, auch wie viel ich bezahlen würde, und sie sagt, leider leider, und jetzt wo ich das schreibe, weiß ich gar nicht, was sie gesagt hat, bestimmt nicht unfortunately unfortunately, sondern vielleicht maalesef (2), und auf Englisch erklärt sie mir, dass die Tasche mit dem Telefon nicht verkäuflich sei. Es ist nämlich ihre eigene.

Sie war ein kleines Mädchen, als ihr Vater ihr die Tasche schenkte, damit sie ihn immer anrufen kann, denn der Vater war Arzt und oft unterwegs und sie vermisste ihn, wie kleine Mädchen ihre abwesenden Väter vermissen, und wir gehen nun zusammen durch den kleinen, dunklen Laden und bleiben am Schaufenster vor der Tasche stehen, sie nimmt die Tasche und öffnet eine Lasche und der Telefonhörer löst sich kabellos von der Tasche, sie imitiert ein Telefonat und lächelt, denn am anderen Ende ist ihr Vater dran, und ich frage nicht, ob der Vater noch lebt, denn es ist ja offensichtlich, dass er noch lebt, und bis heute ist die Tasche ihr so wichtig, dass sie sie niemals verkaufen würde, und ich frage nicht, ob sie den Vater noch immer vermisst, und auch nicht, wozu die Tasche denn im Schaufenster steht, wenn sie unverkäuflich ist. Ich denke, dass sie eine neue Aufgabe für die Tasche gebraucht hat, jetzt wo sie erwachsen ist, die Frau; auch die Tasche ist erwachsen geworden.

Und da fällt es mir wie Schuppen von den Augen, die Tasche ist nicht nur erwachsen geworden, sie ist Der Prototyp, denn Handy heißt auf Türkisch nichts anderes als cep telefonu, Taschentelefon, und sag mal, will ich fragen, dein Vater, hatte der Freunde, die in der Mobilfunkbranche zu tun hatten? Aber ich frage nicht. Sie sei nicht so oft im Laden, erzählt sie weiter, sie arbeite fürs Fernsehen, sie schreibe Texte fürs Fernsehen, sagt sie, und später erzähle ich Jan, der im selben Haus wohnt wie ich, von der Tasche, und natürlich kennt er den Laden und fragt, ob die Sachen auch fürs Fernsehen zum Einsatz kommen.

Das habe ich gar nicht gefragt, sage ich und denke darüber nach, was ich alles nicht gefragt habe. Gleich bei der nächsten Gelegenheit werde ich fragen und ich sehe mich schon Dokumentarsendungen über die Erfindung des Handys in der Türkei ansehen, und sehe mich das cep telefonu aus der Anabala Pasaji in diesen Dokumentarsendungen sehen. Und jetzt gibt das alles Sinn, dass die Tasche unverkäuflich ist, dass sie als unbezahlbare Geschichte im dunklen Schaufenster für alle sichtbar ist, die vorbeigehen und die, wann immer sie dieses allererste cep telefonu sehen, an ihre Liebsten denken, die am anderen Ende eine Lasche öffnen und erwartungsvoll den Telefonhörer in die Hand nehmen.

Merhaba, sagen sie, nazılsın carım (4)?

3.3.2023

mit freundlicher Unterstützung der

 


(1) Die Telefontasche
(2) leider
(3) Taschentelefon
(4) Hallo, wie geht es dir, mein Schatz?